Dienstag, 18. September 2018

Der Drachenlord – eine kurze Einführung (05.06.18)


Der Drachenlord: Das ist Rainer Winkler, Jahrgang ’89, Halbwaise, arbeitslos, ohne qualifizierten Schulabschluss oder sonstige Ausbildung, krankhaft adipös und gerade eben klug genug, um als normal durchzugehen, sodass Hänseleyen nicht gleich den Tatbestand der Behindertenverhöhnung erfüllen, aber kognitiv zu stark eingeschränkt, um sich wirklich normal zu verhalten, sodass sein Gebaren immer neue Zielscheiben für Hohn und Spott liefert.


2007 mit der Sonderschule fertig (eine andere hat er nie besucht), verbummelt Rainer zunächst ein vom Amt verordnetes „berufsvorbereitendes Jahr“, bevor er sich als Hilfsdulli bei diversen Zeitarbeitsagenturen verdingt. Im Laufe der nächsten fünf Jahre fällt er bei allen verfügbaren Agenturen wieder aus der Kartei und besteht diverse Probezeiten von insgesamt drei Jahren Dauer (die bis heute seine gesamte Berufserfahrung darstellen) jedesmal nicht. 

2012 verstirbt sein Vater nach kurzem Krebsleiden und seine Mutter verlässt nebst Schwester fluchtartig das damals schon reichlich baufällige Gehöft in der fränkischen Provinz, das Rainer bis heute als Wohnort dient.  Gerade neuerlich und diesmal endgültig als Hilfsarbeiter entlassen, richtet Rainer sich ein Leben voller Müßiggang, Videospiel und Konsequenzlosigkeit ein und schafft es binnen kürzester Zeit, nicht nur das väterliche Erbe in fünfstelliger Höhe für Luxusartikel zu verjuchheidideln, sondern auch alle sozialen Kontakte zu vergrätzen, sodass sich immer größere Teile seines Lebens aufs Internet verlagern.

Zu diesem Zeitpunkt fasst Rainer den Irrsinnsplan, sich eine neue Existenz als „youtuber“ zu gründen und versucht sich an einer bunten Reihe unterschiedlicher Video-Formate – „Let’s Play“, Sketche, Musikkritik, Ratgeber, Vorträge zu Sachthemen – kann aber aufgrund mangelnder Sachkenntnis und fehlender Frustrationstoleranz keines davon umsetzen oder etablieren. Die Qualität dieser Videos bleibt so gering, dass sie wie Parodien der Formate wirken, die sie zu emulieren suchen. Seinen Lebensunterhalt bestreitet Rainer mittels ALG, worüber er aber sein Publikum im Unklaren lässt, sich stattdessen als wahlweise Schichtarbeiter oder Freiberufler ausgibt und sich dabei in ein Netz dummdreister und offensichtlicher Lügen verstrickt, auf denen er jedoch mit bemerkenswerter Sturheit beharrt.

Gleich in dieser Anfangsphase reagiert er auf Kritiken und erste Sticheleien mit einer Hasstirade, die schnell in sozialen Medien kursiert, in der er wutentbrannt die „Hater“ zum Zweikampf herausfordert und zu diesem Zweck seine Adresse ins Internet posaunt.
Die groteske Qualität seiner Videos und die erbärmliche Dummheit seiner Äußerungen rufen zahlreiche kreative Witzbolde auf den Plan, die Rainers Kontent in Form von Bildern, Musikstücken, Texten, neuen Videos etc. verwursten. Auf diese Rezipienten reagiert Rainer ebenso wie auf wohlmeinende Ratschläge oder konstruktive Kritik: Er wertet sie als hasserfüllte Angriffe gegen seine Person und behandelt sie mit atemberaubender Unsouveränität. Bald besteht sein gesamter Kontent aus den Ankündigungen immer neuer Formate und Projekte, die natürlich nach wie vor an Rainers himmelschreiender Inkompetenz scheitern, und haltlosen Schimpftiraden gegen die „Hater“.
Die zunehmende Aufmerksamkeit, die seinen Ergüssen durch die genannten Verwurster zukommt und die sich in stetig wachsenden Zugriffs- und Abozahlen niederschlägt, verleitet Rainer jedoch zu der Annahme, er sei so etwas wie eine Berühmtheit und die ersten Besucher, die er mit Autogrammkarten beschenken darf und eine johlende Bande Besoffskis auf einem Metal-Festival bestärken ihn noch darin.

Seine Avancen an diverse Mödchen werden dennoch stets brüsk zurückgewiesen, was Rainer nicht daran hindert, vermeintlichen Interessentinnen aus dem Internet nicht mit dem nötigen Argwohn zu begegnen, sondern derartige Kontaktaufnahmen zügig mit Liebesbekenntnissen und dem Zusenden obszöner Selfies zu quittieren. So kommt es schließlich auch zu dem berüchtigten YouNow!-Heiratsantrag, vor dem Rainer alle mahnenden Stimmen ignorierte und sich entschloss, sehenden Auges ins deutlich offenstehende Messer zu laufen und eine ihm persönlich unbekannte Internetbekanntschaft nach kurzem Briefwechsel um ihre Hand anzuhalten.

Immerhin konnte Rainer den Schritt aus dem Transferleistungsbezug vollziehen. Nachdem er 2015 eine von der Arge anberaumte „Maßnahme“ (Motivations- und Bewerbungscoaching) sausen lässt und ihm die Bezüge gestrichen werden, bestreitet er (bis heute) sein Auskommen nahezu vollumfänglich durch Spenden, die er auf der Plattform YouNow! einheimst. Freundschaften zu den anderen regelmäßigen Nutzern dieser Plattform wollen sich jedoch nicht einstellen; vielmehr gelingt es Rainer, sämtliche anderen Nutzer durch seine bornierte und selbstverliebte Art vollumfänglich gegen sich aufzubringen.
Ähnliches vollzieht sich auf dem von ihm eingerichteten „teamspeak“-Server, bei dem er sein Publikum durch Unbelehrbarkeit und arrogante Selbstdarstellung schnell gegen sich aufbringt und alsbald jedes Gespräch in ein Beschimpfungsduell ausarten lässt.

Auch die anderen Youtube-Nutzer, deren Nähe Rainer sucht, haben von seinen Avancen stets alsbald genug und weisen ihn zurück. Die Kritik von „KuchenTV“ hat genug Reichweite, neue Besucher zu Rainers Hof zu locken, wo Rainer längst begonnen hat, den ungebetenen Gästen mit handgreiflicher Gewalt zu begegnen und mit immer neuen Anrufen auch die Dorfpolizei gegen sich aufzubringen.   
   
Im Sommer 2016 reagiert Rainer mit fassungsloser Überraschung, als die Stadtwerke ihm den Strom abdrehen und eine Forderung von 15.000,- Euro erheben, die sich über Jahre hinweg angesammelt hat. In welchem Ausmaß Rainer mit dem Erhalt seines Hauses im Besonderen und den Erfordernissen des Alltags im Allgemeinen einfach heillos überfordert ist, zeigt sich nicht nur an dieser Misswirtschaft, sondern auch  an Rainers zusehender Verwahrlosung und den immer desolateren Verhältnissen in seinen Wohnräumen, die mählich unter Müll und Unrat verschwinden. 

In arge finanzielle Bedrängnis geraten, wendet Rainer sich an die einzigen Autoritäten, die sein beschränkter Verstand noch anerkennt und die außerdem die einzige Anlaufstelle darstellen, von der er sich überhaupt noch Hilfe erwarten darf und behelligt diverse Youtube-Promis mit Hilfegesuchen. Der Youtuber „Iblali“ reagiert darauf mit einigen Hänseleyen, die den Besuchsverkehr zu Rainers Haus weiter ankurbeln.
Ein Übriges dazu tut Rainer selbst, der aus Geldnot einen Posterverkauf auf seinem Hof anleiert und bald tägliche Besuche empfängt, die jetzt aber willkommen sind, solange sie bezahlen. Mit der Installation eines prepaid-Zählers und der Wiederaufnahme der Internetbetteley via YouNow verwandeln sich die Gäste dann wieder in Hater – und weil er einem von ihnen in ohnmächtiger Wut das Auto demoliert, muss Rainer sich sogar vor Gericht verantworten und wird zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt. 

Seit 2017 besteht Rainers Internetpräsenz – neben den „Let’s Play“-Videos, die seine stümperhafte Beschäftigung mit jahrealten Videospielen zeigen, und kein Publikum finden - aus den obligatorischen YouNow-Livestreams, die er zum Überleben braucht. Die Häme, die ihm dabei aus dem Publikums-Chat entgegenschlägt, erträgt er bisweilen nur unter Zuhilfenahme von Alkohol und leistet sich dann besoffene Ausfälle gegen sein Publikum. 

Seine aktuelle Tätigkeit auf YouTube ist nur ein weiterer Versuch, sich endlich auf dieser Plattform ein Auskommen zu sichern und durch seine Inkompetenz natürlich nach wie vor zum Scheitern verurteilt.  Nur seine Unbelehrbarkeit hält Rainer davon ab, die Fruchtlosigkeit dieses Unterfangens einzusehen und stattdessen den Versuch zu unternehmen, sein Leben in geregeltere Bahnen zu lenken.
 
Unbelehrbar ist Rainer auch in puncto körperlicher Gesundheit: Seine ungesunde Lebensweise bescherte ihm 2017 eine Gallenkolik, woraufhin ihm die Gallenblase entfernt wurde, was zu einer rasanten Beschleunigung seiner Gewichtszunahme geführt hat. Rainer selbst hält sich – ungeachtet der Tatsache, dass er sich nur noch unter großer Mühe laufend fortbewegen kann – für körperlich fit, seine Statur für muskulös und belügt sein Publikum seit Jahren mit einer erstunkenen Vergangenheit als Kampfsportler. 

Das Lügenkonstrukt einer geregelten Berufstätigkeit ist zwar schon 2015 zusammengebrochen, weswegen Rainer nun betont, sein Videospielgedaddel und der daraus resultierende nach wie vor lächerlich minderwertige Youtube-Kontent sei das Resultat harter, zeitraubender Arbeit und seine Beschäftigung als „Youtuber“ sei einer geregelten Tätigkeit vergleichbar. Ein neues Lügenkonstrukt hat er um die Existenz einer vermeintlichen Freundin entwickelt, die ihn regelmäßig besucht oder gar mit ihrem Kind seine desolaten Wohnverhältnisse teilt. In einem pornographischen Roman mit dem Titel „Die Antwort auf die Träume“ gibt Rainer beredte Auskunft über seine Vorstellungen bezüglich Beziehung, Eheleben und Frauenbild. Dieses doppelte Lügengebilde braucht Rainer nicht nur zur Stütze seines instabilen Selbstbilds, sondern auch, um sich über seine Kritiker zu stellen und diese als arbeitslos und vereinsamt zu beschimpfen.

Es muss nicht extra erwähnt werden, dass genau diese Eigenschaften Rainer selber zutreffend beschreiben. Seine desolaten Lese- und Rechtschreibfähigkeiten hat Rainer seit 2007 ebensowenig verbessert, wie er sich um eine Ausbildung bemüht hat – vielmehr hat er jede diesbezüglich an ihn herangetragene Möglichkeit selbstherrlich ausgeschlagen.  Alle Bezugsgruppen in seinem Leben haben sich von ihm losgesagt: zuständige Ämter und Behörden, seine Freunde, die Nutzer der von ihm frequentierten Internetplattformen, seine Nachbarn, selbst seine Familie.
Die einzige Gemeinsamkeit all dieser Gruppen ist Rainer selbst. Und der beteuert nach wie vor, seine wenig beneidenswerte Lage sei einfach großartig und er selbst ein toller Hecht. Und jeder, der anderer Ansicht ist oder ihm gar ins Gewissen reden will, gilt als „Hater“.  

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