Der Drachenlord: Das ist Rainer Winkler, Jahrgang ’89, Halbwaise, arbeitslos, ohne qualifizierten Schulabschluss oder sonstige Ausbildung, krankhaft adipös und gerade eben klug genug, um als normal durchzugehen, sodass Hänseleyen nicht gleich den Tatbestand der Behindertenverhöhnung erfüllen, aber kognitiv zu stark eingeschränkt, um sich wirklich normal zu verhalten, sodass sein Gebaren immer neue Zielscheiben für Hohn und Spott liefert.
2007 mit der Sonderschule fertig (eine andere hat er nie
besucht), verbummelt Rainer zunächst ein vom Amt verordnetes
„berufsvorbereitendes Jahr“, bevor er sich als Hilfsdulli bei diversen
Zeitarbeitsagenturen verdingt. Im Laufe der nächsten fünf Jahre fällt er bei
allen verfügbaren Agenturen wieder aus der Kartei und besteht diverse
Probezeiten von insgesamt drei Jahren Dauer (die bis heute seine gesamte
Berufserfahrung darstellen) jedesmal nicht.
2012 verstirbt sein Vater nach kurzem Krebsleiden und seine
Mutter verlässt nebst Schwester fluchtartig das damals schon reichlich
baufällige Gehöft in der fränkischen Provinz, das Rainer bis heute als Wohnort
dient. Gerade neuerlich und diesmal
endgültig als Hilfsarbeiter entlassen, richtet Rainer sich ein Leben voller
Müßiggang, Videospiel und Konsequenzlosigkeit ein und schafft es binnen
kürzester Zeit, nicht nur das väterliche Erbe in fünfstelliger Höhe für
Luxusartikel zu verjuchheidideln, sondern auch alle sozialen Kontakte zu
vergrätzen, sodass sich immer größere Teile seines Lebens aufs Internet
verlagern.
Zu diesem Zeitpunkt fasst Rainer den Irrsinnsplan, sich eine
neue Existenz als „youtuber“ zu gründen und versucht sich an einer bunten Reihe
unterschiedlicher Video-Formate – „Let’s Play“, Sketche, Musikkritik, Ratgeber,
Vorträge zu Sachthemen – kann aber aufgrund mangelnder Sachkenntnis und
fehlender Frustrationstoleranz keines davon umsetzen oder etablieren. Die
Qualität dieser Videos bleibt so gering, dass sie wie Parodien der Formate
wirken, die sie zu emulieren suchen. Seinen Lebensunterhalt bestreitet Rainer
mittels ALG, worüber er aber sein Publikum im Unklaren lässt, sich
stattdessen als wahlweise Schichtarbeiter oder Freiberufler ausgibt und sich
dabei in ein Netz dummdreister und offensichtlicher Lügen verstrickt, auf denen
er jedoch mit bemerkenswerter Sturheit beharrt.
Gleich in dieser Anfangsphase reagiert er auf Kritiken und
erste Sticheleien mit einer Hasstirade, die schnell in sozialen Medien
kursiert, in der er wutentbrannt die „Hater“ zum Zweikampf herausfordert und zu
diesem Zweck seine Adresse ins Internet posaunt.
Die groteske Qualität seiner Videos und die erbärmliche
Dummheit seiner Äußerungen rufen zahlreiche kreative Witzbolde auf den Plan,
die Rainers Kontent in Form von Bildern, Musikstücken, Texten, neuen Videos
etc. verwursten. Auf diese Rezipienten reagiert Rainer ebenso wie auf
wohlmeinende Ratschläge oder konstruktive Kritik: Er wertet sie als
hasserfüllte Angriffe gegen seine Person und behandelt sie mit atemberaubender
Unsouveränität. Bald besteht sein gesamter Kontent aus den Ankündigungen immer
neuer Formate und Projekte, die natürlich nach wie vor an Rainers
himmelschreiender Inkompetenz scheitern, und haltlosen Schimpftiraden gegen die
„Hater“.
Die zunehmende Aufmerksamkeit, die seinen Ergüssen durch die
genannten Verwurster zukommt und die sich in stetig wachsenden Zugriffs- und
Abozahlen niederschlägt, verleitet Rainer jedoch zu der Annahme, er sei so
etwas wie eine Berühmtheit und die ersten Besucher, die er mit Autogrammkarten
beschenken darf und eine johlende Bande Besoffskis auf einem Metal-Festival
bestärken ihn noch darin.
Seine Avancen an diverse Mödchen werden dennoch stets brüsk
zurückgewiesen, was Rainer nicht daran hindert, vermeintlichen Interessentinnen
aus dem Internet nicht mit dem nötigen Argwohn zu begegnen, sondern derartige
Kontaktaufnahmen zügig mit Liebesbekenntnissen und dem Zusenden obszöner
Selfies zu quittieren. So kommt es schließlich auch zu dem berüchtigten
YouNow!-Heiratsantrag, vor dem Rainer alle mahnenden Stimmen ignorierte und
sich entschloss, sehenden Auges ins deutlich offenstehende Messer zu laufen und
eine ihm persönlich unbekannte Internetbekanntschaft nach kurzem Briefwechsel
um ihre Hand anzuhalten.
Immerhin konnte Rainer den Schritt aus dem Transferleistungsbezug
vollziehen. Nachdem er 2015 eine von der Arge anberaumte „Maßnahme“
(Motivations- und Bewerbungscoaching) sausen lässt und ihm die Bezüge
gestrichen werden, bestreitet er (bis heute) sein Auskommen nahezu
vollumfänglich durch Spenden, die er auf der Plattform YouNow! einheimst.
Freundschaften zu den anderen regelmäßigen Nutzern dieser Plattform wollen sich
jedoch nicht einstellen; vielmehr gelingt es Rainer, sämtliche anderen Nutzer
durch seine bornierte und selbstverliebte Art vollumfänglich gegen sich
aufzubringen.
Ähnliches vollzieht sich auf dem von ihm eingerichteten
„teamspeak“-Server, bei dem er sein Publikum durch Unbelehrbarkeit und
arrogante Selbstdarstellung schnell gegen sich aufbringt und alsbald jedes
Gespräch in ein Beschimpfungsduell ausarten lässt.
Auch die anderen Youtube-Nutzer, deren Nähe Rainer sucht,
haben von seinen Avancen stets alsbald genug und weisen ihn zurück. Die Kritik
von „KuchenTV“ hat genug Reichweite, neue Besucher zu Rainers Hof zu locken, wo
Rainer längst begonnen hat, den ungebetenen Gästen mit handgreiflicher Gewalt
zu begegnen und mit immer neuen Anrufen auch die Dorfpolizei gegen sich
aufzubringen.
Im Sommer 2016 reagiert Rainer mit fassungsloser
Überraschung, als die Stadtwerke ihm den Strom abdrehen und eine Forderung von
15.000,- Euro erheben, die sich über Jahre hinweg angesammelt hat. In welchem
Ausmaß Rainer mit dem Erhalt seines Hauses im Besonderen und den Erfordernissen
des Alltags im Allgemeinen einfach heillos überfordert ist, zeigt sich nicht
nur an dieser Misswirtschaft, sondern auch an Rainers zusehender Verwahrlosung und den
immer desolateren Verhältnissen in seinen Wohnräumen, die mählich unter Müll
und Unrat verschwinden.
In arge finanzielle Bedrängnis geraten, wendet Rainer sich an
die einzigen Autoritäten, die sein beschränkter Verstand noch anerkennt und die
außerdem die einzige Anlaufstelle darstellen, von der er sich überhaupt noch
Hilfe erwarten darf und behelligt diverse Youtube-Promis mit Hilfegesuchen. Der
Youtuber „Iblali“ reagiert darauf mit einigen Hänseleyen, die den
Besuchsverkehr zu Rainers Haus weiter ankurbeln.
Ein Übriges dazu tut Rainer selbst, der aus Geldnot einen
Posterverkauf auf seinem Hof anleiert und bald tägliche Besuche empfängt, die
jetzt aber willkommen sind, solange sie bezahlen. Mit der Installation eines
prepaid-Zählers und der Wiederaufnahme der Internetbetteley via YouNow
verwandeln sich die Gäste dann wieder in Hater – und weil er einem von ihnen in
ohnmächtiger Wut das Auto demoliert, muss Rainer sich sogar vor Gericht
verantworten und wird zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt.
Seit 2017 besteht Rainers Internetpräsenz – neben den „Let’s
Play“-Videos, die seine stümperhafte Beschäftigung mit jahrealten Videospielen
zeigen, und kein Publikum finden - aus den
obligatorischen YouNow-Livestreams, die er zum Überleben braucht. Die Häme, die
ihm dabei aus dem Publikums-Chat entgegenschlägt, erträgt er bisweilen nur
unter Zuhilfenahme von Alkohol und leistet sich dann besoffene Ausfälle gegen
sein Publikum.
Seine aktuelle Tätigkeit auf YouTube ist nur ein weiterer
Versuch, sich endlich auf dieser Plattform ein Auskommen zu sichern und durch
seine Inkompetenz natürlich nach wie vor zum Scheitern verurteilt. Nur seine Unbelehrbarkeit hält Rainer davon
ab, die Fruchtlosigkeit dieses Unterfangens einzusehen und stattdessen den
Versuch zu unternehmen, sein Leben in geregeltere Bahnen zu lenken.
Unbelehrbar ist Rainer auch in puncto körperlicher
Gesundheit: Seine ungesunde Lebensweise bescherte ihm 2017 eine Gallenkolik,
woraufhin ihm die Gallenblase entfernt wurde, was zu einer rasanten
Beschleunigung seiner Gewichtszunahme geführt hat. Rainer selbst hält sich –
ungeachtet der Tatsache, dass er sich nur noch unter großer Mühe laufend
fortbewegen kann – für körperlich fit, seine Statur für muskulös und belügt
sein Publikum seit Jahren mit einer erstunkenen Vergangenheit als
Kampfsportler.
Das Lügenkonstrukt einer geregelten Berufstätigkeit ist zwar
schon 2015 zusammengebrochen, weswegen Rainer nun betont, sein
Videospielgedaddel und der daraus resultierende nach wie vor lächerlich
minderwertige Youtube-Kontent sei das Resultat harter, zeitraubender Arbeit und
seine Beschäftigung als „Youtuber“ sei einer geregelten Tätigkeit vergleichbar.
Ein neues Lügenkonstrukt hat er um die Existenz einer vermeintlichen Freundin
entwickelt, die ihn regelmäßig besucht oder gar mit ihrem Kind seine desolaten
Wohnverhältnisse teilt. In einem pornographischen Roman mit dem Titel „Die
Antwort auf die Träume“ gibt Rainer beredte Auskunft über seine Vorstellungen
bezüglich Beziehung, Eheleben und Frauenbild. Dieses doppelte Lügengebilde
braucht Rainer nicht nur zur Stütze seines instabilen Selbstbilds, sondern
auch, um sich über seine Kritiker zu stellen und diese als arbeitslos und
vereinsamt zu beschimpfen.
Es muss nicht extra erwähnt werden, dass genau diese
Eigenschaften Rainer selber zutreffend beschreiben. Seine desolaten Lese- und Rechtschreibfähigkeiten
hat Rainer seit 2007 ebensowenig verbessert, wie er sich um eine Ausbildung
bemüht hat – vielmehr hat er jede diesbezüglich an ihn herangetragene
Möglichkeit selbstherrlich ausgeschlagen. Alle Bezugsgruppen in seinem Leben haben sich
von ihm losgesagt: zuständige Ämter und Behörden, seine Freunde, die Nutzer der
von ihm frequentierten Internetplattformen, seine Nachbarn, selbst seine
Familie.
Die einzige Gemeinsamkeit all dieser Gruppen ist Rainer
selbst. Und der beteuert nach wie vor, seine wenig beneidenswerte Lage sei
einfach großartig und er selbst ein toller Hecht. Und jeder, der anderer
Ansicht ist oder ihm gar ins Gewissen reden will, gilt als „Hater“.
Einfach Gro?artig!
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